Bild anzeigen

Zu meinen besten politischen Erinnerungen gehört die Tätigkeit im Aargauischen Grossen Rat in den 1970/1980-er Jahren. Der Rat zählte damals noch 200 Mitglieder, trat 1971 mit dem Frauenstimmrecht in eine neue Ära und war – so noch heute mein Empfinden – in den Grundlagen und Staatszielen gestärkt durch die neue Staatsverfassung. Sie trat nach gründlicher Beratung durch einen eigens gewählten Verfassungsrat 1980 in Kraft. Etwas Besonderes erlebte ich in der Zusammenarbeit der damals vier tragenden Parteien. Es waren der damaligen Größe entsprechend die SP mit Walter Weber, Vordemwald, die CVP mit dem Schreibenden, die FDP mit Werner Vogt, Villigen und die SVP mit Viktor Würgler, Schlossrued. Diese vier Fraktionspräsidenten waren allesamt Gemeindeschreiber. Alle vier hatten also den gleichen Beruf und waren täglich direkt konfrontiert mit Akten, Fakten, den Gemeindeaufgaben und der ganzen Beziehungsstruktur Kanton-Gemeinden. Das war noch nicht so speziell. Aber außergewöhnlich erlebte ich die stets offene, unkomplizierte und vom Gemeinwohl beseelte Zusammenarbeit. Ich mag mich mit dem besten Willen an keine markanten Gräben, Zäsuren, Stadt-Land-Konflikte, regionale Extrazüge, größere Zerwürfnisse und was immer erinnern. In der Sache gab es selbstverständlich oft auch harte Ausmarchungen. Aber das Gemeinsame und Zukunftsgerichtete überwog. Eine wichtige Besonderheit gab es damals mit dem Regierungsprogramm, entworfen zu Beginn der neuen Legislatur und eigens von einer Kommission in aller Gründlichkeit als Leitlinie und Richtschnur bearbeitet. Zu meinem großen Bedauern wurde diese Programmarbeit später gestrichen oder so entwertet, dass sie gerade noch zur Kenntnisnahme des Regierungswillens im Grossen Rat zurückgestuft wurde. – Nun, ist es vermessen zu behaupten, dass es in der heutigen politischen Landschaft ganz anders aussieht? Woher das viele Misstrauen, diese eigenartigen Subkulturen und von persönlicher Dünkelei geprägten Sonderauftritte, die sogar die Landesregierung erreicht haben? Das in einem Moment, wo die Herausforderungen in der Aussenpolitik und in der Klimafrage gross und grösser geworden sind. Und das in einer Zeit, wo wir über alles gesehen die Epidemie vorderhand positiv bewältigen konnten und nach neuesten Trend-Prognosen die Wirtschaft wieder gut an Fahrt gewinnt?