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In der Ortsgeschichte «Kaisten – unser Dorf» (aktuelles Ortsbild), welche 2003 herauskam, sind die großen Auswanderungswellen, die das Fricktal und im besonderen die Gemeinde Kaisten schwer trafen, eindrücklich dokumentiert. Wer kann das heute in Anbetracht einer stürmisch wachsenden Region noch glauben oder die ganze Tragik erfassen? Im 17. und 18. Jahrhundert war die Hochrheingegend ausgelaugt durch die vielen wiederkehrenden Kriege. Die Bevölkerung verarmte zusehends und es folgten obendrein noch schlechte Ernten, Hungersnöte und Krankheiten. Ab 1737 und in weiteren vier Jahrzehnten fanden regelrechte Auswanderungsschübe statt. Man sprach auch von Umsiedlungen im Habsburgerreich, welches bis in den Banat reichte und wo in Saderlach, rund 1000 km entfernt, ein eigentliches Alemannendorf entstand. Das Angebot an die Auswanderer war verlockend: Freifahrt, kostenloser Grund und Boden und fünf Jahre Steuerfreiheit. Die Realität war eine andere: Mühselige Waldrodungen, und viele erlagen dem Sumpffieber. Eine große Auswanderungswelle setzte ab 1850 nach einer schweren Missernte nach Amerika ein. Innert fünf Jahren verließen 1237 Einwohner den Bezirk Laufenburg, etwa neun Prozent der Bevölkerung. Kaisten richtete ein Hilfsbegehren nach Aarau. Die barsche Antwort aus dem Bezirksamt lautete: «Kaisten hat eine große Anzahl Arme bereits nach Amerika spediert und vermag nun die noch habenden wohl aus eigener Kraft zu unterstützen». So roh war damals die Amtssprache! Immer wieder gab es Notjahre. Die einheimische Bevölkerung war auf Gedeih und Verderb auf den eigenen Boden und dessen Ertrag angewiesen. «Zeitweise war man hier Hungergestalten mit blassen Gesichtern und entkräfteten Körpern auf Wegen und Stegen begegnet», schrieb ein Zeitgenosse. – Der ausgefeilte Sozialstaat federt heute vieles ab. Wir profitieren von der wirtschaftlichen Vielfalt, auch von der Globalisierung. Der weltweite Handel ist Risiko und Chance zugleich. Bildung und Forschung wirken sich positiv aus. Kürzlich war ich im vertrauten Dorfladen. Auf der Packung für die Frühkartoffeln las ich vom Absender «Jegenstorf Berner Mittelland». Bei näherer Prüfung waren die Kartoffeln über den «Verteiler Schweiz» aus Aegypten angekommen. Was früher als wichtiges Grundnahrungsmittel drastisch fehlen konnte, kommt heute über den Handel in den Dorfladen. Selbstverständlich? Schätzen wir so etwas noch oder jammern wir nicht zu viel?